Leseproben

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HUMOR - ABENTEUER - SPANNUNG

Die Familienreederei - Zeit der Wahrheiten

Kapitel 5


Das Wiedersehen der Zwillinge


Lara, Manuel und Petra standen an der Pier von Arrecife und blickten der MS Mari entgegen, die sich gerade ihren Weg in den Hafen bahnte. Es war bereits warm und die Sonne strahlte zur Begrüßung vom Himmel. Petra hatte Lara und Manuel sowie ihr kleines Gepäck mit ihrem himmelblauen blauen Fiat 500 zum Hafen gefahren und darauf bestanden, sie bei der ersten Begegnung mit ihrer Familie zumindest mental zu unterstützen.


Lara war aufgeregt, so aufgeregt wie noch nie, als das Schiff endlich festmachte. Lars und Irma standen auf Deck 6 und winkten. Als die Zollbehörden das Kreuzfahrtschiff kurze Zeit später freigegeben hatten, stürmte Lars als

Erster die Gangway hinunter. Er schoss auf auf Lara zu und sie flog ihm entgegen und in seine Arme. Beide weinten und Lars stammelte immer wieder: „Es tut mir so leid. Ich war ein Idiot.“


Lara streichelte über seinen Kopf, küsste ihn auf beide Wangen und fand keine Worte. Irma schritt eher gemächlich heran, umarmte Manuel liebevoll und stellte sich dann Petra vor. Diese war sehr beeindruckt von Irma und staunte, wie jugendlich sie trotz ihres hohen Alters wirkte. 


Aber das machte vielleicht auch ihre rosafarbene Brille und ihr eindeutig moderner Kleidungsstil. Sie trug eine weiße Hose, offene Sandalen, einen dunkelblauen Pullover und um den Hals hatte sie einen türkisen, eleganten Schal drapiert. Die Zwillinge brauchten über zehn Minuten, um sich loszulassen. Die drei gaben ihnen gern die Zeit. Dann fiel Lara Irma um den Hals. „Irma, Oma, ach, was habe ich dich vermisst."


Erneut begann sie zu weinen und auch Irma verdrückte nun ein paar Tränen, aber sie fühlte auch, dass nun alles gut werden würde. Lars und Manuel klopften sich freundschaftlich auf die Schultern und erst dann nahm Lars Petra wahr. Bei beiden passierte etwas in diesem Moment, was man die sprichwörtliche Liebe auf den ersten Blick nennt. Lars blickte der rassigen, dunkelhaarigen Schönheit in ihre blauen Augen und bekam kaum ein Wort heraus. Petra dachte, dass Lars in der Realität noch viel besser aussah als auf den Fotos, die sie von Lara kannte. Lars reichte ihr schließlich die Hand. „Hallo, ich bin Lars.“ „Petra“, gab sie zur Antwort und als ihre Hände sich trafen, durchzuckte beide innerlich ein Blitz.


Oh Gott nein, dachte Petra und wünschte sich, dass das Ziehen in der Magengrube davon kam, dass sie noch nicht gefrühstückt hatte. Doch in ihrem Alter kannte sie sich und ihre Körperreaktionen besser. Irma und Lara bekamen von diesem Moment nicht mit, aber Manuel, lebenserfahren wie er war, spürte, was da gerade passierte. Lars starrte Petra einfach nur an und war unfähig, ein Wort zu sagen. Petra sah verlegen zu Boden. „So“, Irma ergriff das Wort. „Nun kommt mal an Bord. Wir haben noch nicht gefrühstückt und ich habe in der Reedersuite zur Begrüßung ein kleines Frühstück für uns richten lassen."


„Wir konnten heute Morgen auch nichts essen“, lachte Lara und hakte sich bei ihrer Großmutter unter. Das weckte Lars aus seiner Starre. „Kommst du mit an Bord?“, fragte er an Petra gewandt. „Also zum Frühstück?“ „Ich würde gern“, bedauerte sie und sie tat es wirklich in diesem Moment, „aber der erste Flieger aus Deutschland, in dem Gäste sitzen, landet gleich und ich muss zurück in unsere Pension. „Schade“, fand Lars. „Wir sehen uns dann doch morgen, wenn ihr mit dem Flugzeug von Fuerte zurückkommt und ja noch einen ganzen Tag und Abend auf der Insel bei uns in der Pension bleibt.“ „Darauf freue ich mich.“ Lars sah Petra intensiv in die Augen. Das kann ja heiter werden, dachte Manuel, als er der Familie von Papenstein die Gangway hinauf mit dem kleinen Gepäck von Lara und ihm folgte.


Zur Begrüßung der Reederstochter stand nicht nur Kapitän Hansen, sondern alle Offiziere an der Rezeption Spalier. Petra drehte sich um und ging langsam zurück zu ihrem Auto. Sie konnte noch nicht ganz fassen, was da eben mit ihr passiert war.  Eindeutig hatte sie gefühlt, dass auch irgendetwas mit Lars passiert war. Petra dachte an seine Blicke und seufzte. Per Knopfdruck auf ihren Schlüssel öffnete sie den Wagen und ließ sich förmlich auf den Fahrersitz fallen. Genau das brauche ich jetzt gar nicht, dachte sie, wieder ein verheirateter Mann, noch dazu Vater von zwei Kindern, und der Zwillingsbruder meiner besten Freundin. Dennoch spürte sie immer noch seine  bewundernden Blicke und sie merkte, wie sehr sie sich freute, dass er schon morgen zurück auf Lanzarote sein würde.


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Die Familienreederei - Stürmische Zeiten

Wilfrieds Plan

 

Sieben Tage später fuhr Lars ein letztes Mal über die Autobahn in Richtung der Lübecker Uniklinik. Die Verlegung seines Vaters in die Rehaklinik in den Schwarzwald war endlich für den morgigen Tag geplant. Die ganze Woche war Wilfried mehr als unleidlich gewesen. Erst hatte er seine Kinder beschimpft, dann gebettelt, dass er doch nur ein paar Tage nach Hause nach Travemünde möchte. Professor Dr. Menninger war unerbittlich geblieben. Lars war froh, dass die täglichen Besuche im Krankenhaus nun endeten. Zwar hatten Lara und er sich abgewechselt, doch sie wussten nie, was sie wieder erwarten würde. Dazu die viele Arbeit in der Reederei und eine Schwester mit Liebeskummer. Immerhin hatte der Hafenmeister nun der Taufzeremonie mit Wendemanöver in der Siechenbucht zugestimmt. Ein echter, erster Erfolg für Lara, über den sie sich aber nicht richtig freuen konnte. Hansen war offiziell zum Kapitän des Neubaus bestellt worden. Es hatte Lars weh getan, dieser Anweisung seines Vaters zu folgen. Von der Zwillingstaufe war Wilfried zunächst auch nicht begeistert gewesen. Er hatte sich eher einen regionalen Politiker vorgestellt, doch Irma hatte ihn an einem Tag besucht und danach stand fest, dass Lara und Lars die Taufpaten sein würden. Wie Irma das hinbekommen hatte, verriet sie der Familie jedoch nicht. Lars brachte noch ein paar persönliche Dinge mit ins Krankenhaus, um die sein Vater gebeten hatte. Als er an die Tür des Krankenzimmers klopfte, hörte er ein klares, aber forsches:


   „Herein.“


   Wilfried war angezogen, saß an dem kleinen Tisch im Zimmer und studierte seine Notizen. „Na, mein Junge, hast du die Sachen dabei?“


   Lars bejahte und stellte die kleine Tasche vor ihm auf den Tisch. „Deine zwei Koffer sind gestern schon abgeholt worden. Die werden morgen pünktlich in der Rehaklinik sein. Irma hat gepackt, sodass du auch alle deine Sachen dort hast, die du gern anziehst.“ 


   „Ja, klar, danke. Ich muss doch gut aussehen wegen Oberschwester Hildegard.“ Wilfrieds Stimme tropfte nur so vor Ironie. Wie immer, wenn er von der Rehaklinik im Schwarzwald sprach. 


   „Vater“, Lars schüttelte mit dem Kopf wegen der Anspielung auf die alte Serie. 


   „Es ist doch albern! Stell dir vor, einer erfährt, wo ich hinkomme! Wilfried von Papenstein muss in die Schwarzwaldklinik! Da lacht die Presse sich tot! Den Spott braucht unsere Familie nicht und schon gar nicht unsere Reederei.“


   „Wir kommunizieren nur, dass du eine Reha in Süddeutschland machst, nicht genau wo. Und natürlich, dass du pünktlich zur Taufe wieder da bist! Es ist die beste Klinik für dein Krankheitsbild, sagte der Professor.“


   „Das wird deutlich früher sein, also länger als vier Wochen bleibe ich da nicht. Es wird ja auch Zeit, dass ich Lara entlaste. Im Übrigen halte ich die Diagnose von psychosozialem Stress, der zum Infarkt führte, für totalen Blödsinn.“ 


   „Ich nicht“, meinte Lars und trat ans Fenster. Er blickte in den schönen, grünen Innenhof mit seinen vielen, alten Bäumen. Dann drehte er sich um, atmete tief durch und stellte endlich die Frage, die ihn schon seit vielen Tagen quälte: „Wenn Du nach Hause kommst und Lara sich nach der Taufe entscheidet, wieder auf dem Schiff zu arbeiten. Wirst du sie dann zur Kapitänin machen?“ 


   Wilfried erhob sich und ging mit erstaunlich festen und sicheren Schritten zu Lars an das Fenster. Mit seinem eigenen Gehtraining schien er große Fortschritte gemacht zu haben. „Wie kommst du denn auf die Idee? Lara hat doch gar keine Praxis. Zehn Jahre ist sie als Hostess gefahren.“


   „Weil du es so wolltest“, Lars‘ Worte klangen leise, aber frei von Vorwürfen. 


   Wilfried macht eine wegwerfende Handbewegung. „Lara geht nicht zurück auf das Schiff. Sie bleibt an Land.“


   „Hat sie dir das gestern gesagt?“, Lars sah seinen Vater ungläubig an. Seine Schwester hatte ihm nichts davon erzählt, als sie zurück nach Travemünde kam. 


   „Es ist mein Wille. Die Herumtingelei in der Welt ist jetzt vorbei. Lara kann vielleicht mittelfristig den Personalbereich übernehmen, denn sie kann ja gut mit Menschen. Vor allem verhandelt sie diplomatisch. Das ist auch nicht so mein Ding. Ich werde im November 68 Jahre alt, da sollte ich vielleicht wirklich mal ein wenig kürzertreten. Da folge ich dann auch der Empfehlung des Herrn Professors. Was aber viel wichtiger ist, Lara wird heiraten.“ 


   Jetzt blickte Lars noch perplexer drein. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Lara mit Wilfried zum jetzigen Zeitpunkt über Manuel gesprochen hatte. Noch nicht einmal er hatte inzwischen Näheres über diese Beziehung erfahren, obwohl sie fast den ganzen Tag zusammen waren. Außerdem war sein Kenntnisstand der, dass Funkstille zwischen den beiden herrschte, nachdem Lara das Schiff verpasst hatte. Und irgendwie ging das jetzt selbst ihm ein wenig zu schnell. Lara und Manuel kannten sich höchstens seit zehn Wochen. 


   „Lara will heiraten?“


   Wilfried klopfte seinem Sohn aufmunternd auf die Schulter. „Ja, findest du nicht, dass es mit ihren 38 Jahren langsam mal an der Zeit ist? Du selbst feierst mit Sarah dieses Jahr schon den achten Hochzeitstag. Außerdem tickt Laras biologische Uhr, verstehst du?“


   Lars verstand gar nichts mehr. Lara hatte nie zum Ausdruck gebracht, dass sie einmal heiraten wollte. Wen auch bisher? Biologische Uhr? Lars war wie gesagt nicht sicher, ob Lara eigene Kinder haben wollte. Sicher, sie war die tollste Tante und liebte Maja und Max abgöttisch. Aber selbst diese Schritte zu gehen, war doch eine ganz andere Sache. 


   „Sven ist jedenfalls Feuer und Flamme, sie wiederzusehen!“ Wilfried grinste. 


   „Sven?“, Lars glaubte immer noch, im falschen Film zu sein. 


   „Junge, bist du schwer von Begriff. Ja, Sven! Sven Petersen, Laras Jugendfreund. Er hat mittlerweile das Busunternehmen seines Vaters als Geschäftsführer übernommen und seine Flotte auf ansehnliche 20 Fahrzeuge ausgebaut. Das wäre ja auch nicht schlecht für unsere Reederei, also rein beruflich betrachtet.“

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Mord ohne Reue

Leise schleicht sie die kleine Straße entlang, die in einer Sackgasse endet. Unter ihrem Arm trägt sie einen großen, schwarzen Sack. Es ist kurz vor Mitternacht und der nahe Sommer kündigt sich bereits mit lauen Temperaturen an. 


Als sie eben aus dem Auto ausgestiegen ist, das im oberen Villenviertel von Eppstein parkt, hat sie kaum einen Blick gehabt für die Schönheit der alten Gebäude, die zumeist aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts stammen. Sie ist aufgeregt. Der Schweiß läuft ihr den Nacken hinunter. Sie trägt dunkle, unauffällige Kleidung und Turnschuhe. Niemand begegnet ihr auf dem Weg. Es ist still, bis auf einen Garten, aus dem Musik schallt. Das Haus ist als einziges in der kleinen Straße hell erleuchtet und Ursula vermutet eine Party. Deutlich kann sie Stimmen und Gelächter hören. Sie hört das Lied Auf das, was da noch kommt von LOTTE und Max Giesinger. Sie findet den Titel extrem passend für ihr heutiges Vorhaben. Schließlich erreicht sie das Ende der Straße, die hier in einen Rundwanderweg mündet. Nach rechts oben führt ein steiler Fußweg, aber ihr Ziel ist der große, langge- zogene Garten, der sich an eine Mauer aus Felsen schmiegt. Das Eingangstor zum Garten ist verschlossen. Das hatte sie nicht anders erwartet. Sie sieht sich sicherheitshalber nochmals um, aber sie ist ganz allein. Sportlich klettert sie über die Gartenpforte. Langsam und auf Zehenspitzen schreitet sie den gepflasterten Weg entlang. Wie immer fällt ihr die Schönheit dieses Gartens auf, sogar in der Dunkelheit. Nur das spärliche Licht der letzten Laterne erleuchtet den Garten ein wenig. Sie erreicht ihr Ziel, den Hasenstall. Dort sitzen artig drei japanerfarbige Zwergwidder in ihrem Stall und schlummern friedlich. Der Käfig ist mit einer Kette gesi- chert, doch Ursula befördert einen leichten Bolzenschneider aus ihrer Tasche und trennt die Sicherung mühelos durch. Dann greift sie in den Käfig und verfrachtet die Hasen nach und nach in ihren Sack. Die Tiere fiepen ein wenig, schließlich wurden sie überraschend aus dem Schlaf gerissen. Ur- sula meint, ein Knacken zu hören und schaut sich um. Sie sieht aber niemanden. Schnell verlässt sie den Garten wie- der, klettert zurück über das Eingangstor und eilt den Alten Wellbachweg entlang. Die Party im Garten ist noch immer im Gange. Sie schaut an der nächsten Laterne auf ihre Armbanduhr. Es ist kurz nach Mitternacht. 


Als sie wieder die Rossertstraße erreicht, wo das Auto parkt, in dem Anne auf sie wartet, fühlt sie sich fast entspannt. Als sie gerade die Straße überqueren will, stellt sich ihr ein Mann in den Weg, der für sie gefühlt aus dem Nichts zu kommen scheint. In gebrochenem Deutsch fordert er sie auf, ihm ihre Beute zu überlassen. Sie schüttelt den Kopf und presst den Sack fest an sich. Die Hasen beginnen zu zappeln. Sie betrachtet den Mann genauer. Für einen Ganoven ist er überraschend fein gekleidet. Er trägt einen gut sitzenden und sichtlich teuren Anzug und sogar eine Krawatte. Er winkt und aus dem Dunkeln tauchen auf Kommando zwei weitere, aber deutlich jüngere Männer auf. Sie sind ganz in Schwarz gekleidet und tragen Kapuzenpullis. Der Anzug- träger will Ursula ihre Beute einfach aus der Hand reißen, doch sie wehrt sich und tritt nach ihm. 


„Veit, das Messer“, hört sie ihn sagen und bevor sie in irgendeiner Form handeln kann, hat der Mann sie schon von hinten umfasst und hält ihr ein Springmesser an die Kehle. Ihre Beine beginnen zu zittern. Sie fühlt, wie stark der Mann ist und dass sie sich in keinem Fall von allein aus seinem Arm winden kann. 

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Kreuzfahrt mit Papa Liebesroman

Der Abend davor …


Sabine lief nun schon das dritte Mal innerhalb der letzten Stunde vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer, wo das Mobilteil ihres Festnetzgeräts lag. Sie musste gar nicht erst auf das Display schauen, denn für Papa hatte sie schon seit Langem einen bestimmten Klingelton in ihrem Telefon eingestellt. Es war eine Mischung zwischen einem Militärmarsch und dem Rauschen des Meeres. Sie drückte den Annahmeknopf: „Papa?“ „S-a-b-i-n-e“, begann er und zog wie immer ihren Vornamen unendlich in die Länge.


Sie trommelte nervös mit den Fingern auf der Glasplatte des Wohnzimmertisches. Es war jetzt 21 Uhr, der Koffer war noch lange nicht fertig gepackt und um 22 Uhr hatte sie ihren Nachbarn Ralf auf ein Glas Wein eingeladen. Er sollte in der kommenden Woche ihre Blumen gießen, wenn sie mit Papa auf Reisen ging. Wie immer nervte sie die überaus korrekte Form ihrer Namensnennung. Niemand auf der Welt nannte sie S-a-b-i-n-e! Das klang auch irgendwie so bieder. Sie war die Bini, ob im Job, privat oder in ihrer Stammkneipe um die Ecke. S-a-b-i-n-e nannte sie nur ihr Vater und früher eben Mama.


„Was ist denn jetzt noch?“, fragte sie unwirsch und ohne Begrüßung in den Hörer.


„Ich habe jetzt noch mal ganz genau die Reiseunterlagen durchgelesen. Auch das Kleingedruckte. Zehn Seiten! Da gibt es noch einiges zu beachten. Also, ich beginne mal auf Seite drei“, erläuterte Papa, wurde aber sofort von seiner Tochter unterbrochen:


„Bring es bitte auf den Punkt, ich habe meinen Koffer immer noch nicht fertig gepackt.“


„Du weißt nun seit vier Wochen, dass wir zusammen verreisen, warum müsst ihr jungen Leute alles immer auf den letzten Drücker erledigen“, echauffierte sich ihr Vater und schüttelte mit dem Kopf, was Sabine natürlich nicht sehen konnte.


Sie selbst tat dies ebenfalls, doch aus einem ganz anderen Grund. Erstens empfand sie sich selbst mit 49 Jahren überhaupt nicht mehr als jung und zweitens wurde ihr gerade bewusst, dass sie ab morgen tatsächlich eine ganze Woche mit ihrem Vater verbringen würde. Sie lebte schon lange in Berlin, er in Husum, wo sie aufgewachsen war und wo rein gar nichts los war. Papa war früher Fischer gewesen und fast 50 Jahre zur See gefahren. Nach dem Abi war sie förmlich geflüchtet aus der elterlichen, ländlichen Obhut und hatte ihr Studium im Bereich Marketing nur zu gern in der Großstadt aufgenommen, die schließlich 1990 wieder zur Hauptstadt wurde. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie als Studentin bereits für eine große Marketingfirma und organisierte die komplette PR-Arbeit für die große Einheitsfeier. Auf einem Charité-Event der Einheitsfeierlichkeiten hatte sie den berühmten Herzchirurgen Michael Berg kennengelernt. Zwischen Kanapees und einigen Rednern war der Funke übergesprungen und Michael, gebürtiger Berliner mit hervorragenden Kontakten, hatte dafür gesorgt, dass seine neue Freundin mit ihrer Agentur schließlich komplett in die Berliner High Society aufgestiegen war. 


Er war im ehemaligen Osten aufgewachsen und wie oft hatte Bini ihn ihren Jungen aus Ost-Berlin genannt. Eine Liebe, die sich normalerweise nie gefunden hätte, wäre die Grenze nicht gefallen. 1999 hatten sie geheiratet und immerhin fast 20 Jahre eine, wie sie fand, glückliche Ehe geführt. Den Wunsch nach Kindern hatten sie beide nicht verspürt, da sich jeder mit seinem Business ausgelastet gefühlt hatte. Der Traum war im letzten November zerplatzt, als Michael ihr erklärt hatte, dass seine neue Assistentin im Büro doch mehr als nur eine Mitarbeiterin für ihn sei und er aus der gemeinsamen Villa im Grunewald ausziehen würde. Sabine hatte ihn ungläubig angesehen.

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Mord im Schatten des Turms

Endlich erreicht Ariane den Turm. Der Aufstieg vom Eppsteiner Bahnhof aus dauert mehr als eine halbe Stunde, denn die kleine Straße führt steil bergauf. Die Frau fühlt sich erschöpft. Ihre Beine zittern und sie spürt, wie der Schweiß in kleinen Bächen ihren Rücken hinunterläuft. Staunend sieht sie die alte, hohe Mauer hinauf. Sie ragt steil empor und wirkt bedrohlich. Es riecht nach Vermodertem wie auf einem Friedhof. Ganz oben befindet sich ein kleiner Turm, auf dem eine Fahne weht. Dort kann sie auch eine Satellitenschüssel erkennen. Rund um den Turm herrscht wilder Pflanzenwuchs, alles sieht unbewohnt aus. Das verwundert Ariane. Doch er hat ihr gesagt, er wohne hier. Links neben dem Eingang in den Garten, der zum Turm führt, sieht sie einen Verschlag. Er ist mit weißer und roter Farbe bemalt. Ein silberfarbener Riegel hält ihn verschlossen. Kurz dreht sie sich um und blickt hinab ins Tal. Die beleuchtete Stadt Eppstein glitzert am frühen Abend in einem wahren Lich- termeer. Klar sieht sie die Reste der alten Burgruine gegenüber und auch der Kaisertempel ist deutlich erkennbar. Die Frau dreht sich zum Turm zurück und jetzt kann sie einen kleinen Lichtschein erkennen, der aus dem unteren Teil des Gebäudes nach außen dringt. Das kann nicht die Spiegelung der Stadt sein.


Dort ist seine Wohnung, er hat ihr alles genau beschrieben. Ariane klopft das Herz bis zum Hals. Hat sie die richtige Entscheidung getroffen, seine Einladung anzunehmen? Ist sie mit Anfang fünfzig nicht zu alt für ein abenteuerliches Date dieser Art mitten im Wald am Abend? Doch da fallen ihr wieder die Blicke aus seinen Augen ein. Seitdem sie im Taunus vor zwei Wochen angekommen ist, fühlt sie sich nach vielen Jahren endlich wieder als Frau wahrgenommen. Begehrt. Sie begegnete ihm gleich bei ihrer Ankunft und doch dauerte es einige Tage, bis sie über Privates sprachen. Von ihr weiß er inzwischen alles, doch in sein Leben hat er sie bisher nur sehr wenig blicken las- sen. Umso mehr überraschte sie seine spontane Einladung für heute Abend. Damit hat sie nicht gerechnet, war aber gleich Feuer und Flamme gewesen, als er ihr erzählte, dass er auf einem alten Turm gegenüber der Stadt Eppstein lebe. Von Eulenstein aus hat sie die S-Bahn genommen und keine Rückfahrtzeit nachgesehen. Im Grunde träumt sie von einer gemeinsamen Nacht mit ihm. Ariane fasst sich ein Herz und öffnet die Eingangspforte aus Holz. Sie knarrt ein wenig. Langsam geht sie den Weg entlang, der zum Turm führt. Auch hier wuchert links und rechts des Weges viel Unkraut und sie achtet sorgsam darauf, keinen Ast ins Gesicht zu bekommen oder gar mit einem ihrer Beine an Brombeer- ranken zu geraten. Sie trägt einen kurzen Rock, aber keine Strumpfhose. Sie hat Gänsehaut, sie friert. Ariane zieht ihren türkisen Schal ein wenig enger um den Hals. Sie ist viel zu luftig für einen Abend im März angezogen. An der Steintreppe angekommen, die hinauf zum Eingang führt, bleibt sie stehen. Sie sieht sich vorerst noch ein wenig um. Rechts neben der Treppe erblickt die Frau einen verwilderten Steingarten. Mehr und mehr erinnert Ariane dieser Ort an ein verwunschenes Märchenschloss, das im Tiefschlaf liegt. Und der Prinz wartet drinnen auf mich, denkt sie lächelnd und schreitet mutig die Stufen bis zur hölzernen Eingangstür hinauf.


Es sind siebzehn. Sie findet keine Klingel und beginnt mit der Faust an die Tür zu schlagen: „Ich bin es“, ruft sie zusätzlich. Ihre Stimme klingt zaghaft. Es vergehen ein paar Minuten. Vor der Tür stehen zwei alte Gartenstühle. Kein Laut dringt aus dem Turm nach außen. Die Frau schaut auf die Uhr und stellt fest, dass der Zeiger fünf Minuten vor zwanzig Uhr zeigt. Sie ist zu früh, aber doch nur fünf Minuten. Ihr fällt ein, dass sie auf dem Parkplatz vor dem Turm kein Auto gesehen hat. Ob er gar nicht da ist, fragt sie sich und denkt weiter. Vielleicht hat er ihre Verabredung vergessen? Aber er hat sie doch eingeladen? Ariane entdeckt schließlich einen alten Türklopfer aus Metall an der Tür. Er sieht aus wie ein Löwenkopf. Sie versucht damit nochmals ihr Glück und klopft. Wieder wartet sie, wieder passiert nichts. Sie tritt von der Tür zurück und geht die Stufen langsam wieder hinunter in den Garten. Wieder sieht sie von dort den Lichtschein im Inneren.


„Hallo, hallo“, ruft sie mit lauter Stimme durch die Nacht. Vielleicht hört er sie wirklich nicht? Sie überlegt Steinchen gegen die Fenster zu werfen, hat aber zu viel Angst, die alten und historischen Scheiben zu zerstören, die zum Teil sogar mit Ornamenten verziert sind. Handy- nummern haben sie bisher nicht ausgetauscht, also kann sie ihn nicht anrufen. Ariane geht nochmals die Stufen hinauf und klopft mit dem Türöffner ein weiteres Mal an die Eingangstür. Jetzt energischer. Erneut tut sich nichts. Frustriert steht sie da und überlegt, was sie nun machen soll. Sie kommt sich unendlich dumm vor. Vielleicht hat er sich mit seiner Einladung nur einen Spaß erlaubt? Vielleicht war sie nicht wirklich ernst gemeint? Doch seine Augen hatten gestrahlt, als er sie aussprach. Die Gedanken kreisen nur so in ihrem Kopf. Sie seufzt. 

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Echte Kreuzfahrterlebnisse

Der unverzichtbare Ratgeber für Erst- und Vielfahrer

Neuseeland, das Traumziel auf der anderen Seite der Welt. Schon beim Einlaufen hat mich diese Stadt in seinen Bann gezogen. Ob es der „Watchtower“ war oder der 328 Meter hohe „Sky Tower“, ich weiß es nicht. Wenn ich jemals auswandern sollte, dann hierher. Eine pulsierende Stadt, die so viele unterschiedliche Kulturen miteinander leben lässt, dazu ganzjährig ein mildes Klima.


Und nahezu jeder zweite Einwohner scheint ein eigenes Segelboot zu haben, kein Wunder, dass die Stadt auch als „City of sails“ benannt wird. In dem Hafenviertel sind in den vergangenen Jahren trendige Bars und Restaurants entstanden. Bei unserem Aufenthalt, der 2tägig war, hatten wir zudem das Glück, das berühmte „Volvo Ocean Race“ zu Gast war mit ihren schnittigen Jachten. Was für ein Abend, passend zum Sonnenuntergang wechselte der „Sky Tower“ dann auch noch seine Farben. Beeindruckend war auch die Skyline bei Nacht von Bord aus und getoppt wurde alles vom Auftritt im Theater des Schiffes der Maori, den Ureinwohnern und Entdeckern dieses Landes, die uns ihre Sprache, Riten und Tänze nahebrachten.


Schon beim Auslaufen aus dieser Stadt wird einem klar, dass man dorthin am liebsten schon bald zurückkehren möchte, wenn da nicht nur die Distanz von über 18.000 Kilometern wäre.



Brinas Tipp:

Vom Kreuzfahrtterminal, das sich am Anleger  Princes Wharf befindet, sind es nur drei  Minuten Fußweg in die Stadt und zum Hafen.  Die dichte Lage an der Innenstadt ist optimal  für Erkundigungen auf eigene Faust. Er lohnt  aber auch, per Bus oder Taxi einen Ausflug  nach Devonport auf der gegenüberliegenden Seite der Bay zu machen, denn von dort aus hat  man einen traumhaften Ausblick auf die Stadt Auckland

Erlebnis Äquatortaufe


Der Äquator teilt unsere Welt in die Nord- und Südhalbkugel. Er misst 40.075,017 km und durchquert die Kontinente Südamerika, Asien und Afrika. Ihn mit einem Kreuzfahrtschiff zu überqueren, ist ein besonderes Vergnügen, denn alle Reedereien laden zu diesem Zeitpunkt ihre Gäste zur traditionellen Äquatortaufe ein. Dabei handelt es sich im Ursprung um ein althergebrachtes Ritual der Seefahrt. Wenn ein Besatzungsmitglied den Äquator das erste Mal überquerte, musste es getauft werden. Vergleichbar ist die Polarkreistaufe. Neptun und sein Gefolge, die natürlich Crewmitglieder sind, entern dann das Kreuzfahrtschiff und übergießen freiwillige Täuflinge mit Flüssigkeiten oder seifen sie mit Rasierschaum ein. Es finden sich immer ein paar Gäste, die mitmachen, zum Spaß der anderen. Im Anschluss werden die Täuflinge gesäubert, was meistens ein Bad im Pool – in voller Bekleidung – zur Folge hat. In der Regel finden alle Gäste danach am Abend ihre Äquatortaufurkunde auf der Kabine vor. Ein Spaß, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Als ich zum ersten Mal den Äquator in Richtung Brasilien überquerte, hupte das Schiff noch dazu und die Animation forderte uns auf, alle gemeinsam in die Luft auf die Südhalbkugel zu springen. In diesem Moment bekam ich wirklich Gänsehaut pur, da mir bewusst wurde, dass ich mich in neue Gefilde begab.


Brinas Tipp:

Wenn Sie nicht so der Spaßvogel-Typ sind und auch auf keinem Fall im Pool landen wollen, dann empfiehlt es sich, bei der Äquatortaufe ein wenig abseits zu stehen. Die vordersten Reihen werden garantiert nass und nicht immer nur mit Wasser!

Erlebnis Island

 

Kreuzfahrten mit dem Ziel Island sind in den letzten Jahren immer mehr in die Programme der Reedereien aufgenommen worden. Ein echtes Trend- und Traumziel, das Sie sicher auch begeistern würde. Sie werden eine spektakuläre Landschaft vorfinden, die mit ihren Geysiren, Thermalquellen, Lavafeldern und Wasserfällen punktet. Freuen Sie sich auf die Begegnung mit Islandpferden, Seehunden oder sogar einem Polarfuchs. Auch für seine Vogelwelt ist Island berühmt und es ist ein echtes Erlebnis, Papageitaucher aus nächster Nähe zu beobachten. Aber Achtung beim Landgang! Island ist das teuerste Land der Welt (Stand Juli 2019), da es die meisten Waren importieren muss. Ich habe für ein harmloses, abgepacktes Tüteneis im Jahre 2004 schon knapp 4 Euro bezahlt. Ein Glas Bier kommt locker auf 9 Euro und das Glas Wein sogar auf 10 Euro. Also nicht vergessen, die Trinkflasche für den Landgang aufzufüllen. Reykjavik, die nördlichste Hauptstadt der Welt, hat übrigens viel mehr als seine zahlreichen Schwimmbäder zu bieten. Es gibt eine Vielzahl von Museen und interessante Häuser mit moderner Architektur. Einen guten Ausblick auf Reykjavik haben Sie von dem Hügel aus, auf dem die Kirche Hallgrímskirkja steht. Ihr 74,5 Meter hoher Turm prägt mit seiner Höhe das komplette Stadtbild.


Brinas Tipp:

Buchen Sie unbedingt den Ausflug auf die Insel Grímsey mit dem Flugzeug von Akureyri aus. Diese liegt ca. 40 Kilometer nördlich von Island, direkt auf dem Polarkreis und dort können Sie fantastische Vogelbeobachtungswanderungen unternehmen. Außerdem ist ein Blick von oben auf Island auch eine Sensation. 

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115 Tage an Tisch 10

Kapitel 7


Das Salz der Südsee


Im Restaurant auf Deck 2 war mittags freie Platzwahl, doch als die Landfrauen und Jessica sahen, dass ‚ihr‘ Tisch 10 noch komplett frei war, steuerten sie, ohne sich abzustimmen, direkt auf diesen zu. Sie ließen sich auf ihre abendlichen Plätze fallen und Don Michael winkte ihnen erfreut zu. Rita war wieder schwer mit ihren Häkelsachen beladen. Als sie nachfragte, wo Tim sei, begann Jessica nochmals die Geschichte von heute Morgen zu erzählen. Sie ließ sogar den Teil mit dem hinterhergeworfenen Schuh nicht aus. Rita bog sich vor Lachen, wurde aber gleich wieder ernst, als sie Jessicas traurigen Blick sah. Diese schämte sich sehr für ihren Ausbruch. Bevor Rita gute Ratschläge erteilen konnte, nahte 

Don Michael auch bereits mit der Mittagsspeisekarte. Still begannen die Frauen zunächst darin zu lesen. 


„Schon wieder Bohnensuppe, man echt, die kann ich auch zu Hause essen“, stöhnte Rita genervt auf, „ewig wiederholt sich hier alles.“ 

„Oh, Tortellini alla panna“, freute sich Jessica, denn das war eins ihrer Lieblingsgerichte. 

„Grasschnitzel“, las Ute vor, „was zum Himmel ist denn ein Grasschnitzel? Also die Übersetzungen in die deutsche Sprache sind mehr als schlecht.“ 

„Grasschnitzel gab es vor Kurzem mal, was essen wir denn nun?“, piepste Rosi. 

Rita winkte dem Kellner und schrie: „Tortellini tutti, tutto bene?“ 

Don Michael lächelte entspannt und begann, die Getränkebestellungen aufzunehmen. Rita beugte sich über den Tisch und wollte gerade, wie Jessica vermutete, das Thema Tim wieder aufnehmen, als plötzlich Silvia, Jochen und Jan an den Tisch traten. 


„Ist bei euch noch frei?“, fragte Silvia. 

Alle bejahten. Jan jubelte, weil der Platz neben Jessica noch frei war und er nun dort sitzen durfte. Sollten Silvia und Jochen überrascht sein, dass Tim nicht da war, sie ließen es sich nicht anmerkten und fragten auch nicht nach ihm. Jessica hatte nachmittags an einem der letzten Seetage mal allein mit Silvia Kaffee getrunken und sie hatten sich gegenseitig ihr Herz ausgeschüttet. Deshalb war Jessica sehr im Bilde über die katastrophale Lage der Familie. Heute sah sie Silvia an, diese lächelte, was Jessica für ein gutes Zeichen hielt. Sie war von dieser Frau beeindruckt, die beschlossen hatte, wie eine Löwin um ihren Mann und ihre Ehe zu kämpfen. Dazu gehörte eine besondere Stärke. Rita lehnt sich wieder zurück. Sie würde Jessica später ihre guten Ratschläge in puncto 

Männer erteilen. Jessica wandte sich Jan zu, als sie sah, dass er sein geliebtes Kuscheltier gar nicht bei sich hatte: „Hat Cruisy denn gar einen Hunger?“ 

„Nee“, brabbelte der Kleine, „der sitzt auf der Kabine und beobachtet das Meer. Gleich kommen nämlich echte Menschen an Bord, die wohnen da.“ 

Er deutete auf die Insel, die nun immer näher kam. Sie war sehr bergig und steinig, aber sie leuchtete in der Mittagssonne in einem satten Dunkelgrün. Jessica lächelte. 


„48 Menschen leben da, alles Piraten“, erklärte Jan mit wichtiger Stimme, „aber nur 24 kommen, der Rest ist sicher in der Schule.“ 

„Woher weißt du das denn?“, fragte Rosi kauend nach. 

„Tante Herlinde hat mir das heute Morgen erklärt“, trumpfte Jan auf. 

„Dass die mal was weiß“, konterte Rita. 

Alle am Tisch grinsten, Jan packte weiter aus: „Das sind alles die Maurer von der Bounty.“ 

„Meuterer, heißt es, Jan und es sind heute keine Piraten mehr, sondern die Nachfahren“, verbesserte Silvia und schlug die Speisekarte auf, die Don Michael ihr reichte. Ihr Sohn sah sie mit großen Augen an, dann meinte er: „Was ist denn ‚meutern‘?“ 

Sein Vater strich ihm liebevoll über den Kopf und erklärte: „Das, was du machst, wenn du abends ins Bett sollst und nicht willst.“ 

Jan nickte, insgeheim freute er sich, dass er so viel Talent hatte wie diese Leute, die ja bestimmt erwachsen waren. 

„Wenn ich groß bin, werde ich auch Pirat, denn meutern kann ich ja schon.“ 

Damit erheiterte er nicht nur Tisch 10, sondern auch alle deutschsprachigen Gäste, die in der Nähe saßen und ihn hören konnten. 

„Pirates, pirates“, rief Don Michael aus und deutete mit seinem Zeigefinger auf das Meer. 

Alle sprangen auf und sahen hinaus. Ein kleines Boot, welches neben ihrem großen Kreuzfahrtschiff wie eine Nussschale wirkte, fuhr direkt auf die Kosta Onda zu. Sie erkannten Menschen, die dem Schiff fröhlich zuwinkten. Alle an Tisch 10 winkten aus Leibeskräften zurück, und Rosi begann vor Rührung zu weinen. 

„Das ist so nett, dass die uns besuchen kommen“, meinte sie gerührt. 

„So, wenn die Piraten winken, hast du also keine Angst mehr vor denen“, kommentierte Rita kopfschüttelnd. 

„Sind das nun wirklich Piraten oder nicht?“, quengelte Jan. 


Die Antwort darauf bekamen die Landfrauen und Jessica nicht mehr mit, denn sie hatten eilig den Speisesaal verlassen, um mit dem Lift nach Deck 9 hinaufzufahren, schließlich mussten die Besucher doch gebührend empfangen werden! Zurück blieben vier halbvolle Teller Tortellini alla panna, die Don Michael natürlich sofort abräumte. 

Bruno war bereits auf Deck 9 und beobachtete die Ankunft vom Pooldeck aus mit seinem Fernglas. Er hatte schon die zwanzig Verkaufstische im Atrium inspiziert, die sich gleich füllen würden. Er verstand den ganzen Aufstand nicht. Da kamen so ein paar Halbwilde, die auf einer kleinen Insel fern der Zivilisation wohnten, und das ganze Schiff stand kopf. ‚Fern der Zivilisation‘ waren seine neuen Lieblingsworte, denn es klang so schön exotisch. Dass er diese bei Herlinde das erste Mal gehört hatte, verdrängte er tapfer, aber bestimmt. Kopfschüttelnd registrierte er, dass das ganze Deck einschließlich der Kellner dem kleinen Boot winkte. 


„Na, winkt mal schön“, knurrte er, „diese Piratennachfahren wollen euer Geld und vielleicht ein warmes Mahl, sonst nix.“ 

Niemand antwortete ihm. So schlenderte er zu der fast verwaisten Poolbar hinüber. Er sah Marios Tablett mit gefüllten Weißweingläsern dort stehen und nahm sich gleich zwei. Die Getränke zum Mittagessen waren schließlich inklusive. Dann sah er Tim ein paar Meter entfernt an der Bar sitzen. Er schlenderte zu ihm hinüber und deutete mit dem Kopf auf die Gläser: „Nun muss man sich schon selbst um seinen Wein kümmern, nur weil da so ein paar Halbwilde im Anmarsch sind.“ 

Großzügig bot er Tim ein Glas an, dieser griff zu. Bruno ging sofort noch mal zu dem Tablett und holte zwei weitere Gläser. Er nahm neben Tim auf dem Nachbarhocker Platz. 

„Wo ist denn Jessica?“, fragte er.

„Weiß ich nicht“, gab Tim ehrlich zu.

Nachdem Bruno darauf nicht antwortete, meinte er: „Es 

gab eine kleine Auseinandersetzung heute Morgen, seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen, obwohl ich das ganze Schiff abgesucht habe.“ 

„Na ja“, meinte Bruno überraschend freundlich, „die ganze Zeit so dicht aufeinander, da knallt es eben auch mal. Wenn ich überlege, wie oft ich mich früher mit Inge gestritten habe, heute fehlt sie mir.“ 


Er seufzte leise und sah plötzlich sehr traurig aus. 

„Wer ist Inge?“, fragte Tim und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Weinglas. 

„Inge ist meine verstorbene Frau. Es ist schon fünf Jahre her, Krebs“, antwortete Bruno knapp. 

„Das wusste ich gar nicht“, gab Tim betroffen zu. 

„Ja, denkst du, ich war immer alleine? Nein, wir waren dreißig Jahre miteinander sehr glücklich verheiratet, na meistens jedenfalls. Du hast wohl gedacht, ich hätte nie eine Frau bekommen, weil ich so eklig sein kann, was?“, lachte 

Bruno plötzlich und haute Tim kameradschaftlich auf die Schulter. Dieser grinste, er fühlte sich ertappt. 


„Jessica ist eine tolle Frau, die musst du nur ab und an mal bremsen. Vor allem, wenn sie mit diesem chaotischen Damentrio unterwegs ist.“ 

Tim blickte Bruno überrascht an, bisher hatte er nicht gedacht, dass Bruno Jessica toll fand. 

„Wobei“, meinte Bruno und leerte Weinglas Nummer 1 in einem Zug, „langsam gewöhne ich mich an die, sie sind ja auch sehr unterhaltsam. Nur schade, dass keine neulich auf den Osterinseln vom Pferd gefallen ist, das hätte ein tolles Erinnerungsfoto gegeben.“ 

Tim überraschte Brunos Offenheit, er war ihm in diesem Moment fast sympathisch, wenn er natürlich auch mit seinem letzten Satz in die Ekelrolle zurückfiel. Bruno reichte Tim das zweite Weinglas und zwinkerte ihm zu, da verstand er, dass dieses Miesepetergehabe eben eine Rolle war, in die er hineinschlüpfte, um sich vor der Gesellschaft zu schützen. Bruno Bahn schien nach dem Tod seiner Frau ein Einzelgänger geworden zu sein. Tim war sich sicher, dass er im Grunde seines Herzens keiner der Landfrauen einen Sturz vom Pferd gewünscht hatte. 


„Ja, du hast recht, Jessi muss man bremsen, allerdings ist ihre Lebhaftigkeit damals genau der Grund gewesen, warum ich mich in sie verliebt habe.“ 


Eine Weile schwiegen sie, dann hörten sie zunehmendes Stimmengewirr aus dem Atrium. 

„Komm“, meinte Bruno, „wir sehen uns das drinnen doch mal an, sonst können wir heute Abend ja nicht mitreden.“ 


Tim folgte ihm, er war sich sicher, dort drinnen irgendwo Jessica zu treffen, dieses Ereignis würde sie sich mit Sicherheit nicht entgehen lassen. 

Als sich die Tür des Fahrstuhls öffnete, verschlug es den Landfrauen und Jessica für einen Moment die Sprache. Sechs Männer, allesamt im Piraten-Look, standen dort drin und grinsten die Frauen fröhlich an. 

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Eine Kreuzfahrt um die Welt

Das facettenreiche Südamerika: Von Recife bis Valparaiso 


In Südamerika besuchten wir 12 Häfen. Argentinien bezauberte mit Land, Leuten und dem besten Rinderfilet In Buenos Aires an der Waterfront, welches ich jemals gegessen habe. Unvergessen bleibt dort auch der Besuch am Grab von Evita Perón, dass wir tatsächlich eine Zeit lang suchen mussten, aber schließlich fanden.  In Uruguay stoppten wir in Punta del Este und Montevideo und ich bekam die Gelegenheit, mit einem netten Einheimischen einen Tango zu tanzen. Wir umrundeten Kap Hoorn sicher und bei sehr ruhigem Fahrwasser. Chile zeigte sich leider sehr oft von seiner grauen Seite, aber wenn es mal den Nebelvorhang lüftete, dann konnten wir Blicke auf teils noch mit Schnee bedeckte Gletscher und atemberaubende Landschaften sehen.  In Valparaíso war der erste Passagierwechsel dieser Reise, ca. 150 Passagiere stiegen aus und 130 neu auf. Wir fühlten uns schon  wie alte Hasen. Nach den Osterinseln und auf dem Weg nach Tahiti lagen wir einige Stunden vor den Pitcairn Islands. 40 Einheimische, alles Nachfahren der ehemaligen Meuterer der Bounty, kamen zu uns an Bord und es gab einen großen Ansturm auf ihre überwiegend selbst hergestellten Souvenirs. 


Ozeanien und Australien: Von Papeete bis Perth 


An Tag 54 erreichten wir Papeete (Tahiti) und damit die Südsee. Wir hatten den weit entferntesten Punkt von unserem zu Hause in Deutschland erreicht, ich fühlte mich unendlich frei und weit entfernt von jeglichem Alltag in Deutschland. Auf Moorea badete ich erstmals in der Südsee, die zu meinem Erstaunen salzig schmeckte. Zwei Tage darauf kamen wir in Neuseeland an. Später, Mitte März, erlebten wir den Anlauf von Sydney, Australien. Als ich das erste Mal australisches Land sah, fühlte ich mich wie ein berühmter Entdecker und war richtig gespannt, den zweiten großen Kontinent dieser Reise zu entdecken. Ich wurde nicht enttäuscht und als wir diesen nach drei Stopps in Perth (Freementle) verließen, war ich unglaublich traurig. Ich hätte so gern noch mehr gesehen, doch das ist das Los einer Weltreise, es geht immer weiter. Für uns und die restlichen Passagiere in diesem Fall mit sieben Seetagen nach Mauritius. Eine ganze Woche war nichts außer Wasser um uns herum. Keine Highlights, keine Neuigkeiten. Eine große Herausforderung an uns alle und an die stets liebenswerte und motivierte Crew! Ich begann mich auf Kontinent Nummer drei, Afrika, zu freuen und das erste Mal wurde mir in diesen Tagen bewusst, dass der große Traum, unsere Weltreise, die zu Beginn so unendlich lang erschienen war, bald vorbei sein würde. 


Zauberhaftes Afrika: Von Port Louis bis Walfish Bay


Am 83. Tag unserer Reise erreichten wir unseren dritten neuen Kontinent, Afrika! In Südafrika stoppten wir in Richards Bay, Durban und Kapstadt. Leider erreichten wir den Hafen von Richards Bay einen Tag zu früh, da wetterbedingt Maputo nicht angefahren werden konnte. So lagen wir dann auch acht Stunden und warteten auf die Einfahrt, damit lohnte sich kein Landgang an diesem Tag mehr, zumal dort außer grüner Wiese nichts zu sehen war. Für den zweiten Tag hatten wir einen geführten Ausflug in ein bezauberndes Zulu-Dorf gebucht. Das war ein großer Wunsch von mir gewesen, da ich dort Recherchearbeiten für meinen Roman geplant hatte. Die Busfahrt dorthin betrug zwei Stunden, aber sie war es wert. Die Einheimischen waren überaus freundlich und zeigten uns gern das komplette Dorf mit ihren Rundhütten und Riten. Auch das Mittagessen – in Buffetform – war schmackhaft und reichhaltig. Wieder einmal wäre ich gern länger geblieben. Nachdem wir Afrika verlassen hatten, schwammen wir langsam aber sicher wieder in den Mainstream zurück und damit der Heimat entgegen. Auf die Kapverdischen Inseln folgten die Kanarischen. Danach ging es zurück ins Mittelmeer. 


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Jahresausklang auf Sylt

Kapitel 30. Dezember


Als Hans-Hugo mit Rita auf die Straße trat, lichtete sich der Nebel und erste Sonnenstrahlen kamen zaghaft hervor. Sie sprachen kein Wort. Nach zehn Minuten Fußweg erreichten sie das Geschäft. Der Juwelier war gerade dabei, im Schaufenster ein wenig umzudekorieren. Sie betrachteten schweigend eine Weile die Auslage im Fenster, dann traten sie ein. Die Ringe waren schnell ausgesucht, Hans-Hugo bestand auf Ringe aus Weißgold und Rita schlug vor, dass Inas Ring noch einen Brillanten an die Stelle der eingravierten Insel bekommen sollte, an der sich die Stadt Westerland und damit das Standesamt befand. Im Ringinneren sollte dann folgender Text eingraviert werden:

 

I&B Sylt 31. 12. 15

 

„Da werden sich ihre Kinder aber freuen“, meinte der Juwelier. Rita gluckste ein wenig, während Hans-Hugo lässig zur Antwort gab:


„Es sind schon die Enkelkinder, vielen Dank.“

Rita war immer wieder erstaunt, wie der sonst so vornehme und korrekte Hans sie gelegentlich mit seinem trockenen Humor verblüffen konnte. 

Der Juwelier versprach, sich bezüglich der Gravuren sofort an die Arbeit zu machen. Sie könnten die fertigen Ringe in zwei Stunden abholen. Unschlüssig standen sie danach wieder auf der Straße und die Befangenheit schien zurückzukehren. Rita schleppte Hans-Hugo kurzerhand die Straße hinunter und so betraten sie nur kurze Zeit später die Zeche.


„Moin, moin“, winkte Haike erfreut.


„Moin“, gab Rita lässig zurück und stellte Hans-Hugo vor.


„Du hast aber einen tollen Mann“, fand diese. Rita winkte ab, während Hans-Hugo sich insgeheim fragte, ob das jetzt den ganzen Tag so weitergehen sollte. 


Rita bestellte zwei „Schwein“. Haike lächelte und verschwand in Richtung Tresen. Hans-Hugo blickte sich ein wenig unsicher in dieser Spelunke, wie er das Lokal in Gedanken nannte, um, sagte aber nichts. Er kannte die Zeche. Natürlich nur von außen. Sie war auf Sylt berühmt berüchtigt und Gerlinde hätte niemals einen Fuß in dieses Etablissement, wie sie solche Lokale immer genannt hatte, gesetzt. Mit Schwung servierte Haike die schwarze Flüssigkeit. Schweigend tranken sie, Rita orderte gleich noch mal nach. Hans-Hugo protestierte nicht, bestellte sich jedoch ein Bier dazu. Nachdem Rita auch das zweite Schwein auf ex in sich hineingekippt hatte, lehnte sie sich zu ihm vor und meinte mit erstaunlich leiser und sanfter Stimme:


„Hör mal, wegen gestern Nacht, das tut mir leid, ich bin manchmal ein wenig spontan, ich wollte dich nicht erschrecken.“


„Schon in Ordnung, da war doch gar nichts weiter“, wiegelte er gentlemanlike ab. Die Worte brachen das Eis und Rita bestellte sich ein Gläschen Sekt. Sie plauderten über die bevorstehende Hochzeit und begannen sich wie kleine Kinder auf die Gesichter von Ina und Basti zu freuen, wenn Hans-Hugo die Ringe überreichen würde. Da die vertraute und freundschaftliche Ebene wieder hergestellt schien, nutzte Rita diese Tatsache geschickt für ihr Anliegen aus. Dabei versuchte sie mit möglichst harmloser Stimme zu sprechen.


„Du, Hans.“


„Ja?“ 


Er wunderte sich, normalerweise nannte sie ihn nie bei seinem eigentlichen Vornamen. Sie sagte immer Hans-Hugo oder auch nur Hugo. Dies war eine Anspielung auf seine teuren Anzüge von Hugo Boss und als er damals Josef und Kalli bei einer Fährüberfahrt kennengelernt hatte, hatte Kalli ihm den Namen Hans-Hugo verpasst. 


„Ist es möglich, dass wir auf dem Weg in die schöne Madagaskbar einen klitzekleinen Abstecher machen können?“, flötete Rita nun fast.

„Sicher“, meinte Hans, „wohin denn?“


„In das Haus Erwin, es liegt auf dem Weg“, ließ Rita die Bombe platzen.


Er grinste, insgeheim hatte er sich schon gewundert, dass sie noch nicht wieder über „ihren“ Fall gesprochen hatte. 


„Vielleicht hatte sie der Kuss gestern Abend auch beschäftigt“, überlegte er und ihm fiel ein, dass er gar nicht wusste, warum sie eigentlich keinen Mann mehr hatte. Er nahm sich fest vor, sie irgendwann einmal danach zu fragen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. 


„Meinst du, die lassen uns da einfach so rein?“, sagte er.


„Wir tun einfach so, als ob wir die Pension besichtigen wollen“, schlug sie scheinbar spontan vor, doch er war sich sicher, dass sie diesen Plan schon länger im Kopf hatte.


„Na gut“, stimmte er zu, „vielleicht bekommen wir ja wirklich etwas heraus. Er winkte Haike herbei, sie mussten zahlen, es war an der Zeit, die Ringe abzuholen.

 

Zur selben Zeit besuchten Josef und Rosi das Café Graz in der Fußgängerzone. Sie hatten beschlossen, Ute und Kalli mal ein wenig Zeit für sich alleine zu geben. Das Café dominierte ein drei Meter hoher Schokoladenbrunnen, aus dem sehr appetitlich die Schokolade in einen großen Bottich floss. Ein süßlicher Geruch lag in der Luft. Das Café gehörte zu einer Sylter Schokoladenfabrik, die allerdings ein wenig außerhalb von Westerland lag. Rosi hatte gleich zehn verschiedene Tafeln Schokolade gekauft, eine Sorte klang exotischer als die andere. Cheesecake-Limette-Vollmilch, Banane-Kokos-Chili, Cantaloupe-Melone-Zartbitter oder auch Champagnertrüffel in weißer Schokolade. Nun tranken sie eine Tasse heiße Schokolade und Rosi las Josef vor, welche Zutaten genau in welcher Schokoladensorte enthalten waren. 

„Willst du die Tafeln alle mit auf Weltreise nehmen?“, fragte Josef schmunzelnd.

„Nö, bis dahin sind die schon alle“, gestand Rosi verlegen. 


Josef lachte. Doch dann setzte Rosi nach:


„Wenn ich abends einsam vor dem Fernseher sitze, dann nasche ich gern, weil ich mich so einsam fühle. Schokolade macht glücklich.“


Nun schaute Josef betroffen drein, auch ihm machte die Einsamkeit im Alltag zu schaffen. Er hatte über 40 Jahre als Pastor gearbeitet, aber als er in Pension ging, zerbrach seine Ehe. Seine Frau konnte die tägliche Nähe von 24 Stunden mit ihm nicht aushalten, sie verließ ihn. Er überlegte ernsthaft, auch ein paar Tafeln Schokolade mitzunehmen, vielleicht später, wenn sie gehen würden. 

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Jahresausklang auf Madeira

PROLOG 


Lieber Leser, 


10 – 9 – 8 – 7 – 6 – 5 – 4 – 3 – 2 – 1 ... Willkommen 2015! Das neue Jahr hatte also begonnen. Stolz blickte ich auf meinen Hafen, in welchem schön illuminiert sechs Kreuzfahrtschif- fe lagen. Ich selbst funkelte auch wie eine Lichterorgel aus den 70er-Jahren. Meine Weihnachtsdekoration gepaart mit dem Feuerwerk zu Silvester ließ mich in allen Farbenfacet- ten strahlen, auf die ein Maler in seiner Palette stolz wäre. Wer ich bin? Ich bin die Stadt Funchal und die Hauptstadt der Insel Madeira. Meinen Namen verdanke ich meinen portugiesischen Entdeckern, die damals große Mengen Fenchel bei meiner Entdeckung hier vorfanden. Schon im Jahre 1421 wurde ich gegründet, 1508 erhielt ich Stadtrechte und seit dem 16. Jahrhundert bin ich Bischofssitz. Erst seit dem Jahre 1950 etablierte ich mich als Kreuzfahrthafen. Heute wird meine Einfahrt als eine der spektakulärsten der Welt angepriesen und oft in einem Atemzug mit dem Anlauf von Rio de Janeiro verglichen. Das macht mich sehr stolz, da- bei verfüge ich doch nicht über eine Christus-Statue. Doch mein Berg, an dem ich optisch zu kleben scheine und der Monte heißt, hat die gleiche Höhe von 800 Metern wie der berühmte Zuckerhut in Südamerika. 


Zurück zum Jahresausklang oder dem stets faszinierenden Neubeginn. Nachdem das spektakuläre Feuerwerk an Land endete, startete jedes der sechs Kreuzfahrschiffe sein eigenes. Bestimmt ein echtes Highlight für die Passagiere. Deren Anzahl, alle Schiffe zusammengezählt, berechnete ich auf ungefähr 10.000 Menschen. Das war schon eine Hausnummer! Interessiert betrachtete ich die unterschiedlichen Schiffe genauer. Sie alle waren im Hellen angekommen und hatten mich mehr oder weniger begeistert. Doch jetzt im Dunklen sahen sie alle noch schöner aus. Ihre Decks waren mit bunten, leuchtenden Lichtergirlanden geschmückt. Viele Menschen standen dort oben und schauten in den er- leuchteten Nachthimmel. Die beiden großen Schiffe, die an der vorderen Pier lagen, kannte ich. Sie kamen mich in der Wintersaison jede Woche besuchen. Das erste Schiff war blau und große Schriftzüge zierten seine Außenhaut. Das zweite, welches dahinter lag, hatte am Bug sogar Augen. Im Anschluss lag ein Kleineres mit einem orangen Schornstein. Ich war mir nicht sicher, ob es schon mal in meinem Hafen gelegen hatte. Am besten gefiel mir das kleinste Kreuzfahrt- schiff, das aussah wie eine große Jacht und ein wenig abseits des Hafens auf Reede lag. Von ihm aus musste man einen atemberaubenden Ausblick auf mich und die anderen Schiffe haben. Nahe meinem Park lag ein kleiner Klassiker, an dessen Heck die deutsche Flagge wehte. Auch dieses kannte ich. Es fuhr um die Welt, besuchte mich hin und wieder, jedoch nicht jedes Jahr. Das sechste Schiff war erst am frühen Abend angekommen und lag auch auf Reede. Es war mit Abstand das größte Schiff und es lief mich das erste Mal an. Als es am Horizont auftauchte, dachte ich zunächst, ein schwimmendes Hochhaus käme auf mich zugefahren. Ich konnte jetzt deutlich beobachten, wie aufmerksam sich die sechs Schiffe gegenseitig bei ihren Feuerwerken beäugten. 


Klar, jedes Schiff wollte für seine Gäste mit dem schönsten punkten. Der Mega-Liner auf Reede machte eindeutig das Rennen. Die Crew schoss die Raketen derart gezielt in die Höhe, dass zum Abschluss die Zahlen 2-0-1-5 am Himmel leuchteten. Das bildete dann auch den krönenden Abschluss gegen 01:00 Uhr. Allerdings gingen die Partys an Bord noch bis in die frühen Morgenstunden weiter. Der Geräuschpegel war nicht zu überhören, doch da meine Einwohner auch die Nacht zum Tag machten, störte sich niemand daran. 


Als am Neujahrsmorgen fast alle Schiffe meinen Hafen verlassen hatten, kehrte endlich Ruhe ein. Da fiel mein Blick plötzlich auf die Kaimauer. Ich traute meinen Augen nicht! Dort, wo sich stets die Reedereien mit ihren gemalten Schiffsbildern verewigt hatten, eine Tradition seit Beginn der frühen Seefahrt, war nichts mehr zu sehen als eine große schwarze Wand. Jemand musste in der letzten Nacht alle Bilder „gestohlen“ haben. Wie war das bloß möglich? 

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